Bruchkornanteile beim Mähdrusch: Gibt es ungesehene Kornverluste?
Der Wettbewerb der Druschsysteme wirbt zunehmend mit geringen Bruchkornanteilen. Aber stimmt die Berechnung des Bruchkornanteils, und gibt es ungesehene Verluste?
Körnerbruch entsteht immer dann, wenn möglichst gut entspelztes und entgranntes Korn gedroschen werden soll. Dabei kommen systembedingt die Einzelvorgänge des Dreschens — Schlagen, Reiben und Zentrifugieren — unterschiedlich zum Tragen. Das Risiko, Bruchkorn zu erzeugen, ist aufgrund des mehr schlagenden Drusches bei einem Tangential-Dreschwerk (Schüttler- und Hybrid-Mähdrescher) größer als beim mehr reibenden Axialrotor-Dreschwerk.
Beim Tangential-Dreschwerk entscheiden oft nur geringe Änderungen bei der Trommeldrehzahl oder der Dreschspaltweite über zu hohe oder noch akzeptable Bruchkornwerte (Grafik: „Bruchkorn steigt mit Druschintensität“). Doch auch mit diesen Mähdreschern sind geringe Bruchkornanteile möglich, wie viele Messungen belegen.
Geschätzte Bruchkornanteile
Oft wird der Körnerbruch geschätzt. Die Schätzgenauigkeit hängt von der Erfahrung der Schätzperson, also vom Abgleich mit Messwerten ab. Sehr häufig verfehlen die Schätzungen den tatsächlichen Bruchkornanteil deutlich, wie Untersuchungen der TH Bingen zeigen: Hier wurde anhand von 72 Kornproben nachgewiesen, dass der Kornbruch in der Regel als viel zu hoch eingeschätzt wird (Grafik: „Geschätzt contra gemessen“).
Die Abzugstabelle gemäß den Richtlinien der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) beginnt bei 3 % Bruchkornanteil. Von den 72 Kornproben eines Schüttler-Mähdreschers lagen nur drei Proben im Bereich von 3 % oder mehr Kornbruch.
Gemessene Bruchkornanteile
Bei Exaktversuchen wird der Bruchkornanteil im Labor aus einer 100-g-Kornprobe per Hand selektiert. Er beinhaltet alle angeschlagenen Körner, Kornteile sowie Mehlkörperteile und gibt eine Aussage über den tatsächlichen Bruchkornanteil im Bunker.
Viele Versuchsansteller, aber auch der Handel versuchen, diesen Selektionsvorgang durch Siebung zu ersetzen. Das passt jedoch vor allem bei hohen Vollkorn- und Kleinkornanteilen nicht. Denn gebrochenes Weizen-Vollkorn fällt nicht immer durch das 2-mm-Langlochsieb (2,2-mm-Langlochsieb bei Gerste), weil es zu dick ist — der Körnerbruch wird dann als zu gering bewertet. Bei hohem Kleinkornanteil werden dagegen Schmachtkörner auch als vermeintlicher Bruch ausgesiebt — der Körnerbruch wird demnach hier als zu hoch bewertet.
Reihenuntersuchungen zeigen, dass der per Siebmethode festgestellte Bruchkornanteil nicht der Realität entspricht (Grafik: „Gesiebt contra gemessen“ auf der nächsten Seite). Bei durchschnittlich ausgeprägtem Korn wird per Sieb ein zu geringer Bruchkornanteil selektiert. Leider gibt es keine Norm, die beschreibt, wie der Körnerbruch zu bestimmen ist. Meist wird auch nicht beschrieben, ob per Hand- oder per Siebmethode vorgegangen wurde. Die Werte sind deshalb in den meisten Fällen wenig nachvollziehbar.
Nach den Untersuchungen der TH Bingen mit verschiedenen Mähdreschern befinden...
(Bildquelle: Rademacher)
...sich in den Kornverlusten nur etwa 10 % des Bruchkornanteils insgesamt.
(Bildquelle: Rademacher)
Der Bruchkornanteil insgesamt setzt sich zusammen aus dem Bruchkornanteil im Bunker sowie dem Körnerbruch, der den Mähdrescher als Kornverluste verlässt. In der Literatur und in Kalkulationen wird meist unterstellt, dass der Bruchkornanteil insgesamt doppelt so hoch ist wie der in der Bunkerprobe gemessene Anteil — also 3 % Anteil im Bunker würden danach einem Gesamtanteil von 6 % entsprechen.
Aber ist diese Annahme richtig? Zur Beantwortung der Frage „Wie viel gebrochenes Korn befindet sich in den Kornverlusten?“ hat die TH Bingen detaillierte Untersuchungen mit sorgfältiger Probenaufbereitung durchgeführt.
Beim Schüttler-Mähdrescher (John Deere WTS 9660) wurde der Bruchkornanteil im Versuch mit verschiedenen Sorten von weniger als 0,5 auf 11 % erhöht und somit eine große Spannweite erreicht. Dabei nahm der Anteil des Bruchkorns in den Kornverlusten relativ ab. Im Durchschnitt betrug der Bruchkornanteil in den Kornverlusten 17 % des Kornbruchs insgesamt (Grafik: „Schüttler-Mähdrescher“).
Beim Hybrid-Drescher (Claas Lexion 600) ist es ähnlich. Auch hier nimmt der Bruchkornanteil in den Kornverlusten bei steigender Druschintensität relativ ab (Grafik: „Hybrid-Mähdrescher“). Bei Gerste waren im Durchschnitt nur 3,5 % der gebrochenen Körner in den Verlusten. Bei Weizen waren im Mittel nur 7,6 % des gesamten Kornbruchs in den Kornverlusten.
Daraus folgt, dass der Gesamtbruchkornanteil nicht — wie in der Literatur und Kalkulationen häufig unterstellt wird — doppelt so hoch wie der gemessene Anteil in der Bunkerprobe. Sondern nach diesen Untersuchungen ist dieser Anteil insgesamt lediglich 3,5, 7 und 17 % höher als der im Bunker.
Im Korntank waren bei den geprüften Mähdreschern folglich zwischen 83 und 96,5 % des Körnerbruchs und nicht nur 50 %, wie oft behauptet wird. Die Ergebnisse basieren auf mehreren Bachelor- und Masterarbeiten an der TH Bingen. Sie wurden größtenteils bereits 2011 in der RKL-Schrift 41414 publiziert. Umso erstaunlicher ist es, dass bis heute an der „50 : 50-Regel“ festgehalten wird.
Diese These kann auch rein rechnerisch bzw. gravimetrisch nicht stimmen. Ein Beispiel: Bei 10 t/ha Weizenertrag und einem Preis von 300 Euro pro Tonne beträgt der Erlös 3 000 Euro je Hektar. Der Weizen wird bei 1 % Kornverlustniveau und mit einem Bruchkornanteil von ebenfalls 1 % geerntet. 1 % Kornverlust entspricht dann 10 g/m2, also 30 Euro je Hektar. Würde der gleiche Bruchkornanteil in den Verlusten auftreten, entspräche dies ebenfalls 10 g/m² an gebrochenem Korn und Mehlkörperanteilen. Der monetäre Verlust würde sich auf 60 Euro je Hektar verdoppeln.
Folglich müsste hier die Kornverlustprobe vollständig aus gebrochenem Korn und sonstigen Kornbestandteilen und nicht aus heilen Körnern bestehen. Dieser Fall ist jedoch bei Hunderten untersuchten Kornverlustproben bisher nicht vorgekommen. Im Gegenteil enthalten die Kornverlustproben neben den ganzen Körnern nur geringste Anteile Mehlkörper und sonstige Kornbestandteile.
Bruchverluste im Mähdrescherabgang werden oft als ungesehene Verluste bezeichnet. Sicher sind sie schwer zu entdecken, wenn lediglich auf dem Boden zwischen den Stoppeln danach gesucht wird. Werden bei Versuchen jedoch Schalen oder Tücher genutzt, so landen diese Verluste bei Schwadablage und deaktiviertem oder passend eingestelltem Spreuverteiler zwangsläufig auf diesen Messflächen. Spätestens dann werden sie offensichtlich und nach der präzisen Reinigung befinden sie sich noch immer in der Verlustfraktion — sie lösen sich nicht als ungesehene Verluste in Luft auf.
Hat z. B. der Weizen im Bunker des Beispiel-Mähdreschers 3 % Bruchkornanteil, berechnet der Bruchkornkalkulator von John Deere (deere.de/de/rechner/ag-turf/combine-calculator) 90 Euro je Hektar monetären Verlust nur durch den „ungesehenen“ Kornbruch hinter dem Mähdrescher. Legt man dieser Kalkulation nach den beschriebenen Untersuchungen einen Anteil von 90 % des Kornbruches im Bunker zugrunde, so bleiben von den angegebenen 90 Euro tatsächlich nur noch neun Euro pro Hektar übrig.
Dieses Beispiel würde bei der Ernte mit 1 % Kornverlusten und 3 % Kornbruch gemäß der „50 : 50-Regel“ zusätzlich zu den 10 g/m² Kornverlusten noch 30 g/m² in Form von Bruchstücken und Mehlkörperanteilen im Feld ergeben. Das ist nicht plausibel. Vor diesem Hintergrund ist die Kalkulation des Gesamt-Bruchkornanteils aus je 50 % Bruchkorn im Bunker und hinter dem Mähdrescher unglaubwürdig. Und das gilt genauso für die resultierenden hohen monetären Verluste.
Hier eine einfache, ungereinigte Verlustprobe mit wenig Verlusten und kaum Bruchstücken.
(Bildquelle: Rademacher)
Hohe Verluste, über 1 % Bruchkorn und kaum Bruchstücke in der Mess-Schale
(Bildquelle: Rademacher)
John Deere WTS in Weizen mit 2,9 % Kornverlusten (Druschintensität = 100 bei 600 U/min Trommeldrehzahl, 14 mm Korbabstand).
(Bildquelle: Tovornik)
Claas Lexion in Weizen mit 1,3 % Kornverlusten (Druschintensität = 100 bei 750 U/min Trommeldrehzahl, 15 mm Korbabstand).
(Bildquelle: Tovornik)
Fazit
Der Bruchkornanteil von Getreide wird im Wettbewerb der Druschsysteme zunehmend als Werbeargument genutzt. Grundlage vieler Kalkulationen ist die Annahme, dass der Bruchkornanteil im Bunker nur die Hälfte des Gesamtbruchkornanteils ist, sich 50 % des Kornbruchs also in den Verlusten befinden. Dieses Verhältnis wurde durch eigene Untersuchungen schon vor über zehn Jahren widerlegt. Danach befinden sich zwischen 83 und 97 % des Kornbruchs im Kornbunker und nur 3 bis 17 % hinter dem Mähdrescher am Boden.
Daher entbehren die Annahmen von Bruchkornkalkulatoren mit resultierenden hohen Kornverlustwerten jeder wissenschaftlichen Grundlage. Hinzu kommt die Tatsache, dass 50 % Kornbruchanteile in den Kornverlusten rein gravimetrisch nicht plausibel sind. Bei 1 % Kornverlust und 1 % Bruchkornanteil müssten die Verluste bereits zu 100 % aus Bruchstücken bestehen. Das ist nie der Fall — Bruchverluste lösen sich nicht in Luft auf.