Ost-Landtechnik: Das rettende Ufer ist längst noch nicht erreicht
Mehr als drei Jahre nach der Wende schwanken die großen Landtechnik-Hersteller in Ostdeutschland noch immer zwischen Bangen und Hoffen. Zwar kann die Technik mit dem Weststandard konkurrieren. Doch wirtschaftlich stehen die Unternehmen mit dem Rücken zur Wand. Die Exporte nach Osteuropa sind derzeit noch lebenswichtig.
Schon drei Jahre nach der Wende machte sich nach anfänglicher Euphorie in der ostdeutschen Landtechnikbranche erhebliche Ernüchterung breit. Jeder weiß, wie es mit den Unternehmen weiterging...
Nach der Wende, in den ersten Monaten des Jahres 1990, war die Euphorie groß. Zwar wussten die Unternehmen, dass ihnen einschneidende Veränderungen bevorstanden. Doch die Ost-Landtechnik-
Kombinate wurden von etlichen West-Firmen umworben, so dass viele dachten, mit einem starken Westpartner wird es schon nicht gar so schlimm werden.
Heute ist die Euphorie der Ernüchterung gewichen: Angesichts des weltweit schrumpfendes Landtechnik-Marktes gelingt es nicht einmal den Westfirmen, die vorhandenen Produktionskapazitäten auszulasten. Die großen Namen aus dem Westen haben sich bis auf wenige Ausnahmen schnell wieder aus dem Osten verabschiedet.
Landtechnik aus der DDR war gleichbedeutend mit dem Namen des „Kombinats Fortschritt“. Rund 65 000 Mitarbeiter beschäftigte die Landtechnik-Industrie der DDR, davon etwa 50 000 allein im Kombinat Fortschritt. Zum Vergleich: In Westdeutschland sind es zur Zeit etwa 40 000. Die Mitarbeiter waren allerdings nicht nur in der Produktion beschäftigt. Zum Kombinat gehörten auch Baukolonnen, Kindergärten, Berufsschulen, Wohn- und Erholungsheime und andere Institutionen.
Nach der Wende kam dann der scharfe Schnitt, der die Zahl der Mitarbeiter in den Ost-Betrieben gewaltig schrumpfen ließ: In den Landtechnik-Betrieben, die noch im Besitz der Treuhand-Anstalt sind (und das sind die größten), sind derzeit nur noch rund 4 700 Mitarbeiter registriert. Rund 966 Mio. DM, so wird geschätzt, setzen die Treuhand-Firmen in diesem Jahr um. Zum Vergleich: Allein die Claas-Gruppe setzte 1991/92 mit 5200 Mitarbeitern weltweit 1,1 Mrd. DM um. Hat die gesamte deutsche Landtechnik volkswirtschaftlich bereits eine eher geringe Bedeutung, dann ist die Ost-Landtechnik kaum mehr als eine Fußnote.
Und wäre da nicht die Treuhand, die die größeren sanierungsfähigen Betriebe monatlich mit zwei bis dreistelligen Millionen-Beträgen füttert, dann wäre es um die Unternehmen längst geschehen.
Doch allmählich drängt die Glucke Treuhand ihre Küken aus dem Nest: Ende dieses Jahres sollen die restlichen 15 Treuhand-Unternehmen privatisiert sein. Wie das zu schaffen ist, bleibt das Geheimnis
der Treuhand, denn die letzten Jahre waren nicht besonders vielversprechend. Derzeit stehen die ostdeutschen Unternehmen vor schier unlösbaren Problemen:
1. Der noch unverzichtbare Markt in Ost-Europa (vor allem die GUS-Staaten) bröckelt zusehends.
2. Auch der zahlungskräftige Markt in Westeuropa schrumpft weiter, kaum dass er erschlossen ist. Selbst
mit technisch wettbewerbsfähigen Maschinen ist der Durchbruch noch nicht geschafft.
3. Der Spagat zwischen „Halten des Ostmarktes“ und „Fußfassen auf dem Westmarkt“ kostet gerade in der Umstellungsphase der Unternehmen viel Kraft und Geld.
Schwer wiegt vor allem die Abhängigkeit von Ost-Europa. Zum Beispiel die Landtechnik Schönebeck (LTS) in der Nähe von Magdeburg: Hauptumsatzträger ist hier der Selbstfahrhäcksler „Maral“.
1992 wurden rund 1 900 Häcksler verkauft, 1993 werden mindestens 1 600 angestrebt. Die Hauptmärkte sind Russland, Ukraine und Kasachstan, wohin bis zu 90 % der Produktion geliefert werden. Das hat Konsequenzen: „In den Jahren '93 und '94 ist der Ost-Markt für uns lebenswichtig“, schätzt Vorstandsmitglied Dr. Erdmann Puls die Situation ein. Erst dann werde man im Westen soweit Fuß gefasst haben, dass man ohne Ost-Markt auskommen könne - so die optimistische Prognose.
Nicht viel anders sieht es bei Fortschritt in Neustadt (Sachsen) aus. 80 % vom Umsatz in Höhe von 175 Mio. DM (1992) wurden in Osteuropa erzielt. Das Zugpferd ist nach wie vor der Schwadmäher. Doch auch hier sind die Zeiten vorbei, in denen jährlich mehrere tausend Stück verkauft wurden. 1992 wurden nach Russland, Weißrussland, Ukraine und Kasachstan rund 2 000 Schwadmäher verkauft. Für 1993 geht Fortschritt von ähnlichen Stückzahlen aus. In Westeuropa ist der Schwadmäher dagegen, von Einzelstücken abgesehen, unverkäuflich.
In den letzten beiden Jahren wurden die Lieferungen in die GUS-Länder größtenteils zu Sonderkonditionen verkauft und über Hermes-Kredite des Bundes gedeckt - nicht zuletzt aus politischen Gründen, weil die Bundesregierung den GUS-Staaten wirtschaftlich auf die Beine helfen will. Glück für LTS und Fortschritt.
Pech allerdings für den Mähdrescher-Hersteller MDW in Singwitz bei Bautzen. Der Hauptmarkt für die MDW-Mähdrescher lag nicht in den heutigen GUS-Staaten, sondern in der ehemaligen CSFR, in Ungarn, Bulgarien und natürlich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. 6 bis 7 % der Mähdrescher gingen Richtung Westeuropa. „Wir hätten sicher viel besser dagestanden, wenn die Bundesregierung mit der früheren CSFR das gleiche veranstaltet hätte wie mit der ehemaligen Sowjetunion“ , meint MDW-Vorstandsmitglied Lothar Schreier und spielt damit auf die Hermes-Kredite an: „Dann hätten wir auch einen sicheren Absatz von mindestens 300 Maschinen nachweisen können.“
Bittere Konsequenz für MDW: keine Hermes-Kredite, also kein Absatz. Somit standen die Karten für MDW von Anfang an schlecht. Das Unternehmen erhielt von der Treuhand-Anstalt den Stempel „nicht sanierungsfähig“ und trägt seitdem diesen Makel mit sich herum. Dadurch wurde MDW nicht entschuldet, und jegliche Investitionsmittel wurden dem ehrgeizigen Unternehmen vorenthalten. Doch angesichts der Zahlen für 1993 ist das der Treuhand kaum zu verdenken: Vor der Wende baute das Werk jährlich über 4000 Mähdrescher. Die Zielvorstellung für die nächsten drei Jahre beläuft sich auf jährlich auf immerhin 800 bis 1000 Stück. Doch tatsächlich ist MDW auch davon weit entfernt: Nicht einmal 300 Mähdrescher wird MDW in diesem Jahr bauen!
Für einen Hersteller von Großmaschinen mit enormen Entwicklungsaufwand bedeutet eine solche Zahl auf lange Sicht das Aus. Und jetzt droht tatsächlich die Liquidation des Unternehmens. Ende April war noch Stand der Planung, dass MDW ein Geschäftsbereich von Fortschritt wird. Doch angesichts des Liquidationsverfahrens wird daraus wohl nichts werden. Lothar Schreier glaubt trotzdem, dass weiterhin MDW-Mähdrescher gebaut werden.
Ein weiteres Problem ist die Entwicklung neuer Maschinen, mit denen sich die eigene Produktpalette für den Westmarkt erweitern ließe. Hier haben die Firmen Beachtliches geleistet. Bei LTS soll in Zukunft der neue SF-Häcksler „Maral 150“ mit 153 kW (208 PS) ein neues Zugpferd werden. Hoffnung setzt LTS auch in den völlig neuentwickelten Systemschlepper „Systra“.
Dabei schielen die Schönebecker nicht auf den großen (aber schrumpfenden) Traktorenmarkt. „Wir wollen eine Nische bedienen“, so Marketing-Leiter Helmut Jaeckel. Der „Systra“ kann in der Landwirtschaft, im Gartenbau und im Kommunalbereich eingesetzt werden. Offen bleibt, ob diese Nische groß genug ist, um schon in den nächsten beiden Jahren nennenswerte Gewinne einzufahren. Wie dem auch sei: Insgesamt hundert „Systras“ in vier Klassen von 50 bis 72 PS sollen in diesem Jahr gebaut werden.
Weil die Anzahl der Schwadmäher voraussichtlich weiter zurückgeht, hat auch Fortschritt sein Produktprogramm beträchtlich erweitert. Dazu gehören beim Mähen ein neues Frontmähwerk mit dem gezogenen Trommelmähwerk mit 3,10 m Schnittbreite. Seit dem letzten Jahr hat Fortschritt zwei Rundballenpressen mit maximal 1,30 und 1,80 m Ballendurchmesser im Programm - eine Kooperation mit dem italienischen Hersteller Feraboli.
In der vergangenen Saison verkaufte Fortschritt erstmals die selbstentwickelte Großpackenpresse „550“, vor allem in Deutschland und Frankreich. Der Marktanteil 1991/92 betrug in Deutschland 11,5 %. Die kleinere Packenpresse „530“ kommt in diesem Jahr als Vorserie auf den Markt. Und schließlich sind auch Silierwagen (Kooperation mit Bergmann) und Ballenauflösegeräte (Ingenieurbüro Agritechnik) im Programm.
Damit man aber nicht nur von der Landtechnik abhängig ist, baut Fortschritt auch eine Abfallpresse und Aufbauten für Müllwagen. Hier sind die Umsätze allerdings noch nicht nennenswert. „Die Schwerpunkte liegen in der Futtererntetechnik, die sich, was den Kunden betrifft, nach wie vor auf große Flächen ausrichtet“ so beschreibt Roland Kieslich das Unternehmenskonzept.
Bei neuen Produkten ganz besonders ins Zeug legte sich MDW. Neben der Produktpflege hat sich MDW auch an Neuentwicklungen gewagt. Das war schwer genug: Die Mähdrescherwerke erhielten zwar von der Treuhand Liquiditätskredite zur Bestreitung der laufenden Kosten, doch keine Investitionskredite - davon war MDW wegen der Einstufung als „nicht sanierungsfähig“ ausgeschlossen.
Die kleine Fortschritt-Presse 530 geht dieses Jahr als Vorserie auf den Markt.
(Bildquelle: Redaktion profi)
Fortschritt sieht Chancen in der Abfallwirtschaft und baut jetzt auch Müllfahrzeuge.
(Bildquelle: Redaktion profi)
So mussten sich die Singwitzer die Neuentwicklung quasi vom Munde absparen. Lothar Schreier: „Die Treuhand hat uns am Leben erhalten - natürlich. Zwar knapp, aber so viel wie wir brauchten, haben wir auch bekommen.“ Investitionen konnten jedoch nur aus den recht bescheidenen Verkaufserlösen und zum Teil aus dem Verkauf früherer Betriebsflächen bestritten werden. „Das waren ein paar Millionen, die haben wir reingesteckt in neue Produkte“, so Lothar Schreier.
Ende 1990 war die konstruktive Entwicklung des Oberklasse-Mähdreschers „527“ abgeschlossen. Doch weil der Absatz zurückging und die Kosten stiegen, war eine Markteinführung des neuen Mähdreschers so bald nicht möglich. Da die konstruktiven Vorleistungen jedoch erbracht waren, hat man das große 3-Trommel-Dreschwerk einfach in die Baureihe der gehobenen Mittelklasse (Typ „E 525“) eingebaut. Die ursprüngliche „Notlösung“ stieß bei Vorführungen im letzten Jahr auf großes Interesse. 140 Mähdrescher dieses Typs sollen 1993 verkauft werden. Und im Sommer sollen erste Versuchsmaschinen des künftigen Flaggschiffs „527“ erprobt werden - so jedenfalls die Planung.
Die Mehrfachbelastung der Firmen kostet Kraft. Denn der Ost-Markt muss gehalten werden, und gleichzeitig müssen neue Maschinen entwickelt werden. Große Unternehmen wie LTS und Fortschritt können sich schließlich nur halten, wenn sie auch im Westen Tritt fassen.
Hier haben die meisten Landtechnik-Hersteller in Ostdeutschland, so ein Insider aus dem Westen, in den vergangen zwei Jahren viel versäumt. Einerseits mangelte es am Know-how im Marketing, andererseits fehlte an der Firmenspitze der typische Landtechnik-Manager, der den Markt kennt und Entscheidungen trifft, die auch durchgezogen werden.
LTS war nach eigener Einschätzung im letzten Jahr in den alten Bundesländern nicht aktiv genug. In diesem Jahr liegt die Messlatte höher: Das Strategiekonzept von LTS fordert, 1995 die Hälfte des Gesamtumsatzes im Westen zu erzielen. Der Erfolg des „Systra“ ist in dem Zeitplan schon fest einkalkuliert - eine Rechnung, die mehr auf Hoffnung als auf unternehmerischem Handeln beruht.
Fortschritt hat sich vorgenommen, das Händlernetz in Deutschland zu stabilisieren. Ein Schritt dahin ist zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der Firma Tiede, die Fortschritt-Maschinen in Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg verkauft. Um im Westen erfolgreich zu sein, muss jedoch das „Ost-Image“ energisch bekämpft werden, was Fortschritt nach eigenem Bekunden weitgehend gelungen ist.
„Wir sind jederzeit bereit“, so Roland Kieslich, „Kunden in unserem Haus zu empfangen, damit sie sich die Fertigung bei uns ansehen können. Da müssen wir leider feststellen, dass viele Kunden aus den alten Bundesländern gedacht haben, wir hätten zur Fertigung immer nur Hammer und Feile genommen.“ Auch bei MDW hat sich die West-Orientierung stark ausgewirkt. Im Westen galten die Mähdrescher aus der DDR immer als Billig-Produkte. Damals war es nicht möglich, Teile aus Westproduktion einzusetzen.
Man war auf Gedeih und Verderb auf DDR-Hydrauliken, ungarische Elektrik und polnische Teile angewiesen.„Dennoch hat es keinen gegeben, der gesagt hat, euer Mähdrescher ist schlecht“, so Lothar Schreier. „Aber sie haben gesagt, eure Keilriemen gehen nach ein paar hundert Stunden kaputt, eure Farbe blättert ab, eure Hydrauliken sind laufend undicht usw.“
Heute werden dagegen nur noch Qualitätsprodukte westlicher Hersteller verwendet. „In Westeuropa läuft es zwar gut an“, so Lothar Schreier, „aber wir sind natürlich nicht mehr der Billiganbieter.“
Die Auftragslage bei MDW sieht insgesamt düster aus. Der Auftragsbestand im Frühjahr liegt nur bei einem Drittel der geplanten Zahlen. Das ist zu wenig. In der Tschechischen Republik ist zwar der Bedarf hoch, doch ist kein Geld vorhanden. Der Export bewegt sich daher in sehr bescheidenen Stückzahlen.
Mit dem derzeitigen Umsatz lassen sich nicht einmal die laufenden Kosten der Produktion bestreiten, geschweige langfristig Neuentwicklungen bezahlen.
Kleinere Stückzahlen machen sich auch bei den Gebäuden bemerkbar: Landtechnik Schönebeck hat das Glück, in vergleichsweise jungen Fabrikhallen zu produzieren (1967 erbaut). Allerdings ist der Gebäudekomplex für die heute gefertigten Stückzahlen viel zu groß.
„Es gibt kaum einen anderen Hersteller“, so Erdmann Puls, „der so geringe Fertigungsaufwendungen pro Maschine hat. Wir bauen einen Selbstfahrhäcksler in 160 Stunden. Das ist großartig, basiert aber auf 6 000 Einheiten im Jahr. Und wir wissen, diese Stückzahl kommt nie mehr wieder.“
Weitere personelle Einschnitte sind bei LTS abzusehen: 1990 arbeiteten in Schönebeck noch rund 3 800 Mitarbeiter. Derzeit sind noch etwa 1 370, in Zukunft wahrscheinlich nur noch 760. Und ob selbst die 760 Mitarbeiter 12 Monate im Jahr Arbeit haben werden, ist nicht geklärt: „Wir haben im letzten Jahr vier Monate produziert. Das ist eine Katastrophe“, so Erdmann Puls.
MDW hat sich auf ein Fünftel der früheren Betriebsflächen zurückgezogen. Die Fläche wurde von 130 ha auf 25 ha verkleinert, und die Belegschaft verringerte sich auf ein Zehntel von früher 6 000 Mitarbeiter auf knapp 600. Ähnlich bei Fortschritt: „Wir sind mit 4 700 Mitarbeitern in die Wende gestartet, hatten im vergangenen Jahr noch 1 700“, so Roland Kieslich. Mitte dieses Jahres sollen es nur noch 900 Mitarbeiter sein.
Wirtschaftlich hängen die Unternehmen am Treuhand-Tropf. LandTechnik Schönebeck erzielte 1991 einen Umsatz von 360 Mio. DM. 1992 kam ein Einbruch auf 234 Mio. DM. Für 1993 werden 237 Mio. DM erwartet, und 1995 sollen es sogar 290 Mio. DM sein. 1991 schrieb das Unternehmen noch schwarze Zahlen. Doch dann ging die Häcksler-Produktion zurück, und man rutschte mit einem Bilanz-Verlust von 36 Mio. DM in die Minuszahlen. 1993 soll der Verlust auf 9 Mio. DM begrenzt werden. Frühestens 1994 werden bei LTS wieder schwarze Zahlen erwartet.
Der mittlere Umsatz von Fortschritt soll sich 1993 auf 180 bis 190 Mio. DM belaufen. Die Höhe hängt jedoch davon ab, ob die GUS-Geschäfte realisiert werden können oder nicht.
Bei MDW macht die Bilanz Riesensprünge. So betrugen der Umsatz 1990/91 knapp 230 Mio. DM, 1991/92 nur 53,2 Mio. DM. 1990/91 machte MDW knapp 40 Mio. DM Verlust, im Jahr darauf 21,2 Mio. DM. 1992/93 sollen es möglichst auf 5,6 Mio. DM begrenzt werden – so die Planung vor dem Liquidationsverfahren.
Wie es weitergeht, hängt zum großen Teil vom Verlauf der Privatisierung und von den Plänen der Erwerber ab. Doch zunächst müssen sich die Firmen selbst beim Schopfe packen. „Es wird keine Lösung geben, dass uns jemand privatisiert und dann saniert, sondern wir müssen uns selbst sanieren“, so Erdmann Puls. LTS ist ein großes Unternehmen, nur schwer anpassungsfähig und dadurch wenig attraktiv für Investoren. Zur Zeit gibt es keinen ernsthaften Käufer, der LTS als Ganzes in die Privatisierung führen könnte.
Interessenten für Teilbereiche des Unternehmens gibt es. Doch: „Wir brauchen eine Privatisierung des gegenwärtigen Kernbereichs. Und dafür gibt es heute keine Lösung“, so Helmut Jaeckel.
Wegen der Privatisierung von Fortschritt laufen gegenwärtig Verhandlungen der Treuhand mit einer Erwerbergruppe, die aus einem Zulieferunternehmen für Landtechnik, einer Firma aus dem Baufach, einer Managementgruppe und einer Bank besteht. Die Gruppe wollte Fortschritt und MDW unter der Voraussetzung privatisieren, dass die Betriebe zusammengeführt werden. Beide Standorte sollten nach dem Konzept erhalten bleiben.
Fortschritt wäre eine solche Zusammenführung ganz gelegen gekommen, denn dadurch werden Kapazitäten besser ausgelastet und die Fixkosten gesenkt. Außerdem würde der Mähdrescherbereich die Stellung des Unternehmens stärken. Hinzu kommt, dass die Entwicklungsarbeiten für den neuesten Mähdrescher abgeschlossen sind, und auch die Entwicklungskosten nicht mehr zu Buche schlagen, weil sich die Singwitzer diese förmlich vom Munde abgespart haben.
Wie den großen geht es auch den kleineren Herstellern in Ostdeutschland: Ungewiss ist auch die Zukunft von der Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig AG (BBG). Das Unternehmen mit rund 400 Mitarbeitern steht auf der Schwelle zur Liquidation.
Neben Bodenbearbeitungsmaschinen baut BBG Teile für Zuckerrüben-Roder und in Lizenz Selbstfahr- und Anhängespritzen für die holländische Cebeco. Schließlich ist BBG an einem Projekt in der Ukraine beteiligt, das eine Anbaufläche von 100 000 ha Zuckerrüben umfasst.
Kalt erwischt hat es die Landmaschinen GmbH in Güstrow-Rövertannen, Hersteller von Düngerstreuern. Das Unternehmen wurde liquidiert. Aus ihm ist im Frühjahr 1992 die Maschinen- und Antriebstechnik GmbH hervorgegangen, die wesentliche Produkte der Landmaschinenbau GmbH übernahm. Einst waren dort 1 500 Mitarbeiter beschäftigt, heute noch 100. Das neue Unternehmen baut gezogene Großraumstreuer und den Anbaustreuer „Discus“ (Accord-Lizenz). Jährlich werden etwa 200 Düngerstreuer gefertigt. Vom Umsatz des neuen Unternehmens machen die Düngerstreuer etwa ein Viertel aus. Drei Viertel entfallen auf die Bereiche Frontlader, Getriebe- und Stahlbau.
Eine positive Ausnahme ist z.B. Saxonia in Bernburg. Der ehemalige Drillmaschinen-Hersteller wurde vor einem Jahr vom westdeutschen Rabewerk übernommen. Zu DDR Zeiten arbeiteten bei Saxonia 400 Beschäftigte, heute sind es noch rund 70. In Bernburg wird jetzt die neue Rabe-Drillmaschine „Multidrill“ gebaut.
Ein Wechselbad mit glücklichem Ende machte auch das Weimar-Werk, Hersteller von Kartoffel-Erntemaschinen, Fendt-Geräteträgern und Frontladern, durch. Zu den Interessenten gehörten neben anderen Niewöhner und Schmotzer. Ein Schmotzer-Gesellschafter erhielt im letzten Herbst den Zuschlag von der Treuhand und veröffentlichte auch das Konzept. Danach sollen in Weimar künftig auch Zuckerrüben-Ernter gebaut werden.
Doch Schmotzer war mit der Ankündigung etwas voreilig, denn zur Unterschrift kam es im Herbst nicht. Schmotzer war nämlich nicht bereit, plötzlich aufgetauchte Verbindlichkeiten in Millionenhöhe, die in „irgendeiner Schublade schlummerten“, zu übernehmen.
Mittlerweile ist man sich aber einig, so dass Schmotzer das Weimar-Werk mit 160 Beschäftigten und seiner modernen Produktions- und Konstruktionsabteilung wohl doch übernehmen wird. Der Fendt-Geräteträger läuft zwar nicht wie gewünscht, für Auslastung werden bald aber Zuckerrübenernter sorgen.
Die noch nicht privatisierten Unternehmen, und dazu gehören die großen Unternehmen wie Fortschritt, MDW, LandTechnik Schönebeck, BBG Leipzig, müssen ihren Platz in der deutschen Landtechnik-Industrie erst finden - wenn ihnen so viel Zeit überhaupt bleibt. Für die Zukunft von LTS macht sich Vorstandsmitglied Erdmann Puls keine Illusionen: „Das wird ein harter Verdrängungswettbewerb.
Das geht gar nicht anders.“ Eine Einschätzung, die auch für die anderen Landtechnik-Unternehmen in Ostdeutschland gilt.
Die Treuhandanstalt:
Die größten Unternehmen sind am schwersten zu privatisieren
Die Treuhandanstalt in Berlin ist gleichzeitig Eigentümerin und Verkäuferin der Landtechnik-Firmen. Ursprünglich gehörten zur Treuhand etwa 30 Landtechnik-Unternehmen. Davon wurde erst etwa die Hälfte privatisiert.
Allerdings wird derzeit laufend verhandelt, so dass sich diese Zahlen täglich ändern können. Die größten Landtechnik-Firmen, die noch zur Treuhand gehören sind: Landtechnik Schönebeck, Fortschritt/MDW, BBG Leipzig, Petkus Wuta und Agrotechnik Leipzig. 10 Treuhand-Mitarbeiter sind mit der Privatisierung dieser Firmen beschäftigt.
Die finanziellen Aufwendungen zum Erhalt der Firmen sind enorm. Denn so viele Arbeitsplätze wie möglich sollen gesichert und produzierendes Gewerbe soll erhalten werden. Nur so können die einzelnen Regionen wirtschaftlich Anschluss finden. Die Landtechnikproduktion ist allerdings nur ein kleines Rädchen in diesem großen Getriebe.
Die wichtigste Aufgabe der Unternehmen ist es, in kurzer Zeit ein möglichst breites Produktprogramm zu entwickeln, nach Möglichkeit auch außerhalb der Landtechnik. Christoph Schröder, Abteilungsleiter bei der Treuhand-Anstalt: „Ich war erstaunt, festzustellen, wie hoch der Anteil der nicht im engeren Sinn landtechnischen Umsätze bei unseren Unternehmen ist. Sie haben sich in zwei Richtungen bewegt: Einerseits haben sie von der Produktionsseite verwandte Geschäftsfelder gesucht. Und sie haben andererseits im Bereich der Landtechnik, und da ist MDW ein gutes Beispiel, innerhalb kurzer Zeit neue marktfähige Produkte entwickelt.“
In bestimmten Abständen werden die Treuhand-Unternehmen beurteilt, ob sie sanierungsfähig sind oder nicht. „Es gibt Unternehmen“, so Christoph Schröder, „die es besonders schwierig hatten. Und heute sind wir froh, dass wir den mühsamen Weg der letzten Monate gegangen sind. Für diese sehen wir einen Silberstreif am Horizont.
Es gibt andere Unternehmen, die natürlich in der derzeitigen konjunkturellen Lage in einer schwierigen Situation sind. Da überprüfen wir laufend eine mögliche Anpassung der Unternehmenskonzepte z.B. durch Standortoptimierung, Optimierung der Mitarbeiterzahl und/oder betrieblicher Funktionen“.
Wichtig ist für die Treuhand besonders die Fertigungstiefe. Christoph Schröder: „Wir nutzen die Chance, in Ostdeutschland auch beim Aufbau einer neuen Wirtschaftsstruktur Fertigungstiefen ganz gezielt aus den
Unternehmen herausnehmen, um sie schlanker zu machen. Ich denke, dass wir hier einen großen Vorteil gegenüber den ausländischen und westdeutschen Wettbewerbern haben werden.“
Die geringere Fertigungstiefe soll die Fixkosten bei der Produktion senken. Dadurch kann man, so Schröder, schneller auf die Schwankungen des Marktes reagieren.
In die Unternehmensführung greift die Treuhand nicht ein. Und sie hat auch keinen Einfluss auf den Absatz der Maschinen. Doch sie kann sich für die Kredit-Vergabe einsetzen. „Wir spüren, dass das Hermes-Instrumentarium am Ende angekommen ist. Und wir sehen, dass sich die Bundesregierung bei der Vergabe von Hermes-Krediten zunächst auf die einzelnen Unternehmen mit wirtschaftlichen Perspektiven konzentriert. Trotzdem ist es uns gelungen, noch Hermes-Deckungen zu bekommen“.
Die dramatischen Einschnitte liegen hinter den Firmen. Aber: „Wir wissen angesichts der derzeitigen konjunkturellen Situation nicht genau, was unsere Unternehmen in den nächsten Monaten noch vorhaben. Und wenn das alles so schwierig bleibt und sich die GUS-Probleme weiter verschärfen sollten, dann haben wir in der Zukunft möglicherweise noch einige schmerzhafte Dinge vor uns.“