Der Markt für die großen Knicklenker ist – gerade in Deutschland – überschaubar. Vorzugsweise in Ostdeutschland gibt es aber doch einige Betriebe, deren Größe und Struktur den Einsatz dieser Boliden sinnvoll machen. Und da insbesondere in Nordeuropa die Ansprüche an ausgefeilte Technik und großen Komfort besonders hoch sind, gelten die Kunden hier als Gradmesser, wenn es um die Bewertung neuer Großtraktoren geht. Genau in diesen Punkten muss sich John Deere mit seinen neuen Großtraktoren aber sicher nicht verstecken. Zum einen hat die Serie 9 jetzt ebenfalls die komfortablere Kabine der Serie 7/8 bekommen (profi 12/2020 und 2/2021). Und zum anderen haben die Amerikaner den Boliden noch mehr Leistung eingehaucht – unglaubliche 691 Pferde sind jetzt beim Top-Modell 9R 640 am Start.
An dieser Stelle ist es jetzt Zeit, die drei Bauformen der Serie 9 kurz zu erklären: Während der 9R ein Knicklenker mit Rädern ist, hat der knickgelenkte 9RX vier Raupenlaufwerke. Eine Sonderform ist dagegen der 9RT als Vollraupe, den es nur mit maximal 627 PS gibt. Außerdem ist diese Bauform wegen ihrer Breite in Europa nicht sehr verbreitet, so dass wir uns hier dem 9R und 9RX widmen.
Motoren von Cummins und Deere
Beim Öffnen der einteiligen Haube (das geht viel leichter als vorher) kommt ein gigantisches Kühlerpaket zum Vorschein. Dahinter verbirgt sich – fast ein wenig unscheinbar – der Motor. Beim Topmodell setzt John Deere hier nach wie vor auf den Sechszylinder mit 15 l Hubraum von Cummins.
Spannender wird es bei den kleineren Modellen: Hier hat John Deere das eigene Aggregat mit 13,5 l Hubraum durch den neuen PowerTech PSS mit 13,6 l Brennraum ersetzt. Dabei ist der geringfügig größere Hubraum wohl die kleinste Änderung an dem neuen Kraftwerk. Interessanter, nicht nur für die Mechaniker, sind die wartungsfreien Hydrostößel für die Ventilsteuerung sowie das auf 5 000 Stunden verlängerte Wartungsintervall für den Schwingungsdämpfer am Motor und den Lüfterantrieb. Hier ist der eher anfällige Vario-Cool-Lüfter einem elektronisch geregelten Viscolüfter gewichen.
Stichwort anfällig: Statt der Pumpe-Düse-Einheiten hat der neue Motor jetzt eine CommonRail-Einspritzung, die mit schlechteren Dieselqualitäten besser zurechtkommen soll. Außerdem hat der serielle
Doppelturbo statt verstellbarer Geometrie jetzt ein Wastegate. Hinzu kommen zahlreiche Detailverbesserungen wie eine „smarte“ Motorsteuerung mit neuen Sensoren, ein modularer Kabelbaum sowie verbesserte Dichtungen und Lagerungen. Insgesamt verspricht John Deere für die neuen Aggregate weniger Ausfallzeiten, 1/3 weniger Wartungskosten, 3 % mehr Effizienz und drei dB(A) weniger Lautstärke aufgrund einer besser gekapselten Ventilsteuerung.
E18-Getriebe mit Schrägverzahnung
Änderungen gibt es bei der neuen Serie 9 auch im Getriebe. Das voll-lastschaltbare e18 mit seinen Automatikfunktionen hat jetzt mehr Kupplungsscheiben in der Gruppenkupplung sowie eine gesteigerte Kühlleistung für die Kupplungsscheiben. Außerdem haben die Zahnräder des e18 jetzt eine Schrägverzahnung, um die Gangwechsel zu erleichtern und die Laufruhe zu verbessern. Das weichere Schaltverhalten bestätigen auch Fahrer, die mit der vorherigen Serie 9 unterwegs sind.
Wenn man aber – wie wir – bei der flachen Stoppelbearbeitung mit gut 12 km/h im Automatikmodus unterwegs ist, nerven die Schaltvorgänge am Vorgewende trotzdem, so dass man sich einen stufenlosen Antrieb für noch mehr Komfort wünschen würde. Den wird es laut John Deere aufgrund der schlechteren Effizienz und vor allem wegen der fehlenden Nachfrage aber wohl auf absehbare Zeit nicht geben.
Mehr Leistung, mehr Gewicht
Doch bevor wir jetzt auf höchstem Niveau das Jammern anfangen, widmen wir uns lieber den weiteren (ge-)wichtigen Neuheiten bei den Flaggschiffen aus Waterloo. So hat John Deere zum Beispiel aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre sowie wegen der jetzt noch einmal gesteigerten Motorleistung das Chassis sowie die Antriebe beim 9R und 9RX deutlich verstärkt. Insgesamt sorgen stabilere Achsen, neue Achsgehäuse, überarbeitete Differenziale sowie größere Planetengetriebe für sage und schreibe 1 t mehr Leergewicht – alle Achtung!
Stichwort Gewicht: Der 9RX mit seinen vier Raupenbändern kommt schon in der Grundausstattung mit rund 28 t Kampfgewicht daher. Trotzdem kann es für schwerste Einsätze notwendig sein, die Maschine zusätzlich zu ballastieren. Deshalb gibt es jetzt auch hier den Frontgewichtsträger für bis zu 36 mal 43 kg Koffergewichte. Zusammen mit den Ballastierungsmöglichkeiten an den Raupen und im Heck sind so jetzt maximal 30,4 t Einsatzgewicht möglich – bei 32 t zulässigem Gesamtgewicht kein Problem.
Maximal 30,4 t darf der 9R auf der Straße wiegen. Zumindest bei dem größten Modell mit 691 PS
Maximalleistung bekommt man aber die Leistung wohl ohnehin nur auf den Boden, wenn man zumindest Zwillingsreifen montiert. So war auch der 9R 640, den wir gefahren haben, mit acht Pneus der Größe IF 710/70 R 42 bestückt. Das wiederum führt zu mehr als 4,30 m Außenbreite, was das Umsetzen über (öffentliche) Straßen nicht einfacher macht.
Verbesserte Hydraulik
Was die Hydraulik angeht, bleibt es bei der optionalen Doppelpumpe mit einer maximalen Fördermenge von stolzen 416 l/min statt der üblichen 208 l/min. Neu ist aber die Öl-Speisepumpe mit fast 40 % mehr Leistung. Ebenfalls hat John Deere die Leitungsverlegung nach eigenen Angaben gründlich aufgeräumt und ein (aus dem 8R bereits bekanntes) Lenkventil eingebaut. Genauso kann man für den 9R und 9RX auf Wunsch auch das ActiveCommand-Steering bekommen.
Womit wir wieder bei dem Thema Komfort wären. Der 9R kann außer mit der HydraCushion-Vorderachsfederung auch mit dem neuen ActiveSeat II ausgestattet werden. Statt hydraulischer arbeitet das System jetzt mit einer elektrischen Federung, deren Funktion genauso beeindruckend ist, wie sie es vorher schon war. Aber der neue Sitz bietet neben dem großen Drehwinkel nach rechts und links(!) jetzt auch die begehrte Massagefunktion – für lange Arbeitstage auf den großen Boliden eine feine Sache.
Mehr als 600 000 Euro
Doch am Ende steht wie immer der Preis. Und die Summen sind in dieser Liga wirklich mehr als beeindruckend. So kostet der 9R 640 in der eingesetzten Vollausstattung laut Preisliste fast 603 000 Euro ohne Mehrwertsteuer. Darin enthalten sind allerdings so gewaltige Aufpreise wie fast 14 000 Euro für die
Zapfwelle im Heck, jeweils rund 20 000 Euro für die Vorderachsfederung und das Heckhubwerk oder eben auch rund 25 000 Euro für die gesamte Ballastierung. Dazu kommen noch sage und schreibe
63 000 Euro für die Achtfach-Bereifung der Größe IF 710/70 R 42 rundherum.
Dass es noch teurer geht, beweist der 9RX 640. Mit seinen vier Raupen ist er in der Grundausstattung noch mal rund 100 000 Euro teurer als der Radschlepper. In Vollausstattung kommt man bei dem 9RX 640 dann auf gut 652 000 Euro ohne Mehrwertsteuer. Hier schrumpft der Unterschied auf rund 50 000 Euro, da Achsfederung, Zwillingsräder und volle Ballastierung bei dem 9R 640 zusammen mit rund 50 000 Euro extra zu Buche schlagen.
Wohnzimmer mit Ausblick: Die neue Kabine ist noch größer und komfortabler.
(Bildquelle: Tovornik)
Die Serie 9 gibt es nur mit dem 18/6- Schaltgetriebe. Deshalb findet sich auf der Bedienarmlehne der vom AutoPower bekannte CommandPRO-Griff nicht.
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Kühlfach, Radio mit Touchbedienung, Massagefunktion im Fahrer- und Beifahrersitz mit Lederbezug: In der Kabine mangelt es an nichts.
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Nicht nur am Aufstieg, sondern rund um die Kabine gibt es Handgriffe und Tritte – top beim Scheiben putzen.
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Die „kleineren“ Modelle haben den neuen John Deere-Motor unter der riesigen Haube.
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Kühler und ein großer, hydraulisch angetriebener Lüfter sorgen für die Abfuhr der Hitze.
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Ein Heckhubwerk ist genauso wie eine Zapfwelle Sonderausstattung. Eigentlich brauchen die „Puller“ oft nur ein stabiles Zugpendel, um ihrem Job nachkommen zu können.
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(Bildquelle: Tovornik)
Zwischen den Scheinwerfern sitzt eine kleine Kamera – ebenso im Heck.
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Hauptschalter und Pole für eine Start- hilfe könnten besser zugänglich nicht sein.
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Um das Knickgelenk nicht zu überlasten, ist das Abschleppseil bis zum Heck geführt.
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Beim Vergleich der Aufstandsflächen kommt der Radschlepper mit Zwillingen gut weg...
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...während der RX mit Raupen dank seiner Transportbreite auch auf der Straße bestens klar kommt.
(Bildquelle: Tovornik)
Optional gibt es auch für den 9RX jetzt zusätzlichen Ballast – für bis zu 30,4 t Einsatzgewicht.
(Bildquelle: Tovornik)
Die Radmaschine darf auf der Straße maximal 30,4 t wiegen.
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Die Raupen wurden deutlich verstärkt – zu sehen an 20 statt 10 Schrauben im Lochkranz des Antriebsrades.
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Oben der kleine Anzeiger für die Bandspannung – und Tipps zur Einstellung.
(Bildquelle: Tovornik)
Wissen zum Angeben
Das Motorsteuergerät (Engine Control Unit = ECU) ist bei dem neuen Motor ölgekühlt.