Steillagen-Vollernter CH 500 von CH engineering: Drahtseilakt
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Gut zu wissen
- Das Trägerfahrzeug können die Betreiber auch für Pflegearbeiten einsetzen.
- Bis zu 75 % Steigung erklimmt das seilgeführte Fahrzeug.
Wie viele andere Branchen beklagen auch Winzer ein zunehmendes Personalproblem, zu guter Letzt auch durch die Corona-Pandemie. Der neue und nach Herstellerangaben weltweit erste Steillagen-Vollernter für Weintrauben von CH engineering soll eine passende Antwort hierauf sein.
Wie diese Technik funktioniert, haben wir uns im vergangenen Herbst mit Peter Hoffmann von CH engineering aus Kröv (nordöstlich von Trier) und dem spezialisierten Lohn- und Weinbaubetrieb von Mark Sanders angeschaut. Sanders betreibt zusammen mit seiner Frau das Weingut Sanders & Sanders in Klausen in der Eifel. Zusätzlich bieten sie von der Pflege bis zur Ernte überbetriebliche Einsätze für den Weinbau im Umkreis von bis zu 40 Kilometern an.
Weinbau und seine Herausforderungen
Ab April steht die Düngung an. Sie erfolgt mineralisch oder über Kompost zwischen den Rebstöcken. Zeitgleich folgen erste Pflanzenschutzmaßnahmen. Im Steilhang kommen dabei zunehmend Raupen anstelle eines Hubschraubers zum Einsatz.
Im Vegetationsverlauf fallen zudem viele weitere Pflegemaßnahmen an. Dazu zählen zum Beispiel das Laubschneiden oder auch das Mulchen zwischen den Rebzeilen, bevor zwischen August und Oktober die Ertrags- und Reifephase einsetzt. Bis dahin halten die Winzer ihre Bestände kontinuierlich in mehreren Durchgängen von Pilzkrankheiten frei.
Zum Ende der Wachstums- und Einlagerungsphase sind warme Tage und kalte Nächte hilfreich, damit zwischen September und Oktober eine süße Ernte eingefahren werden kann.
Stichwort Ernte: Bisherige Vollernter kommen bei Steigungen ab 30 % an Ihre Grenzen. Da die Moselregion aber gerade von steileren Hanglagen lebt, rief CH engineering im Jahr 2012 in Pionierarbeit ein Forschungsprojekt ins Leben.
Darauf aufbauend entwickelte Peter Hoffmann (siehe Kasten: Hoffman: Vom Händler zum Entwickler) zusammen mit seinem Team den CH500, der mittlerweile serienreif ist und bereits weltweit zum Einsatz kommt.
Als Trägerfahrzeug dient das UT110 des italienischen Herstellers Andreoli Engineering. Dieses Fahrzeug nutzt einen Vierzylinder-Motor mit 80 kW/109 PS, einen
hydrostatischen Antrieb und zwei Raupenlaufbänder. Eine schwenkbare Dreipunktaufnahme (Kat. 1), eine 540er Zapfwelle und vielfältige Steuergeräte machen es zu einem Universaltalent für den Weinbau — über die gesamte Vegetation. Der Clou ist eine integrierte Seilwinde, die das Fahrzeug hangabwärts sichert und hangaufwärts mit bis zu 1 500 kg Zugkraft auf dem Weg nach oben unterstützt.
Da das Fahrzeug bereits zur Pflege, zum Pflanzenschutz und zur Bodenbearbeitung im Weinbau zum Einsatz kam, fehlte nur eine schonende Technik für die Ernte. An diesem Punkt knüpfte Hoffmann mit seinem Team an und entwickelte ein passendes Anbaugerät. Die Erntetechnik besteht aus einem Erntekopf, einem Förderband und einem Sammelbunker.
Pendelnder Erntekopf
Beim Einfahren in die Rebzeilen ist der pendelnd aufgehängte Erntekopf geöffnet. Sobald das Ernteaggregat mittig über der Rebzeile positioniert ist, schließt der Fahrer das Aggregat per Knopfdruck. Daraufhin beginnt der Ernteprozess, wozu verschiedene Bauteile hydraulisch in Bewegung versetzt werden. Dazu zählen unter anderem beidseitige Exzenterantriebe für je fünf oder sechs Schüttelstäbe aus Kunststoff. Diese gleiten an den Rebzeilen entlang und schütteln die Trauben ab. Währenddessen fährt das Trägerfahrzeug talwärts etwa mit 2 bis 3,5 km/h.
Durch das Schütteln fallen die Trauben unten auf einem Schuppenboden. Von dort bläst ein Luftstrom die Früchte zu einem seitlichen Förderband. Zeitgleich trennt der Luftstrom unerwünschtes Laub ab und fördert es in einen angetriebenen Blattrechen.
Anschließend transportiert das Förderband die vorgereinigten Weintrauben in Richtung Sammelbunker. Dieser fasst je nach Modell 650 bis 800 l, was bei einem mittleren Traubenertrag für etwa 500 m Rebzeilen ausreicht.
Kurz vor der Übergabe in den Sammelbehälter saugt ein zweites Gebläse Laub aus dem Erntegut. Sobald das Fahrzeug am Ende der Rebzeile angekommen ist – oder die maximalen 230 m der Seilwinde ausgeschöpft sind – öffnet der Fahrer den Erntekopf und tritt die Rückfahrt an. Mit etwa 6 bis maximal 9 km/h geht es mit geballter Ketten- und Zugkraft der Seilwinde zurück nach oben zum Transportfahrzeug.
Funkgesteuerter Tieflader
Tieflader mit Tiefgang
Apropos Traktor: Vor dem Tieflader war bei unserem Einsatz ein Case IH Farmall 95C mit Funksteuerung platziert. Hierüber kann der Vollernter-Fahrer das Gespann drahtlos von Rebzeile zu Rebzeile vorfahren. Die Fernsteuerung greift auf Kupplung, Bremse und Powershuttle-Getriebe des Schleppers zu.
Zudem ist auf dem Plattformhänger ein Zwischenbunker platziert. Dieser fasst rund 1 200 Liter und wird mit einer Überladehöhe von bis zu 2,50 m nach hinten entladen. Bei Lohnunternehmer Sanders übernehmen ab dort die Winzer ihre Trauben, indem sie ihre Transportfahrzeuge rückwärts an den Plattformwagen manövrieren. Eine LED-Anzeige mit Ampelfarben gibt dem Abfahrer einen Hinweis auf den richtigen Abstand. Hierfür sind hinten am Tieflader Näherungssensoren installiert – ähnlich wie die Einparkhilfen in Pkw.
Kabine mit Kippsitz
Rechts und links an den Armlehnen des Fahrersitzes hält man intuitiv die beiden Joysticks in den Händen. Einer steuert den Erntekopf, der andere das Trägerfahrzeug — hierüber sind auch die verschiedenen Tempomaten anzuwählen. Zu guter Letzt sind im Dachhimmel zahlreiche Kippschalter und Anzeigen verbaut.
Eines wurde bei unserem Besuch sehr deutlich: Trotz verschiedener Sicherheitsmechanismen ist dies ein Arbeitsplatz für Personen mit Mut, einer gewissen Portion Gelassenheit und dem nötigen Grundvertrauen in die Technik. Selbst wenn der Motor wie bei unserem Besuch auf halber Strecke wegen Überlast ausgeht, muss man Ruhe bewahren und darf nicht in Panik geraten. Auch wenn die Feststellbremse bei Druckabfall im Hydrauliksystem sofort greift und die tägliche Seilkontrolle sowie der turnusgemäße Seilaustausch sicherlich zum guten Gefühl beiträgt, bleibt es ein Job für routinierte Fahrer.
Auch durch Covid-19 liegen die Vorteile dieser Technik auf der Hand, verdeutlicht Hoffmann: „Der Steillagen-Vollernter ist für bis zu 3 ha am Tag ausgelegt. Für eine vergleichbare Ernteleistung würde man alternativ bis zu 70 Erntehelfer benötigen.“
Sanders hat daher mittlerweile in das zweite Trägerfahrzeug investiert und ist unter anderem von der Trauben-Schonung überzeugt: „Auch wenn viele Kunden zunächst skeptisch sind und einen Qualitätsverlust im Vergleich zur Handernte vermuten, sehe ich keine Nachteile. In zahlreichen Versuchen hat sich diese Vermutung nie bestätigt.“