Unfallforschung der Versicherer: Die unterschätzte Gefahr
Die Unfallforschung der Versicherer hat eine neue Studie zum Unfallgeschehen mit landwirtschaftlichen Zugmaschinen vorgestellt. Wir geben einen Überblick.
Wenn landwirtschaftliche Zugmaschinen an Unfällen beteiligt sind, haben es die Unfallgegner schwer: Die massiven Maschinen sind im Fachjargon der Versicherer „nicht kompatibel“ mit Pkw, Zweirädern, Fußgängern und dergleichen. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat nun eine neue Studie zu Unfällen mit landwirtschaftlichen Zugmaschinen im Straßenverkehr erstellt, bei denen es Personenschäden gab. Alle Unfälle mit Sachschäden zu betrachten, würde nach Auskunft des Studienleiters und UDV-Chefs Siegfried Brockmann zu weit führen: „Wir konzentrieren uns ausschließlich auf die Personenschäden, denn Unfälle mit Sachschäden gibt es zu viele.“
Bezogen auf das Jahr 2019 gab es deutschlandweit 300.143 Unfälle mit Personenschaden, 1.941 Unfälle davon waren landwirtschaftlichen Zugmaschinen zuzuordnen. Das entspricht einem Anteil von 0,65 % — dieser Wert liegt geringfügig höher als bei der letzten Studie aus dem Jahr 2010 (0,52 %), über die profi im Heft 2/2011 berichtet hat.
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Wenn landwirtschaftliche Zugmaschinen an Unfällen beteiligt sind, haben es die Unfallgegner schwer: Die massiven Maschinen sind im Fachjargon der Versicherer „nicht kompatibel“ mit Pkw, Zweirädern, Fußgängern und dergleichen. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat nun eine neue Studie zu Unfällen mit landwirtschaftlichen Zugmaschinen im Straßenverkehr erstellt, bei denen es Personenschäden gab. Alle Unfälle mit Sachschäden zu betrachten, würde nach Auskunft des Studienleiters und UDV-Chefs Siegfried Brockmann zu weit führen: „Wir konzentrieren uns ausschließlich auf die Personenschäden, denn Unfälle mit Sachschäden gibt es zu viele.“
Bezogen auf das Jahr 2019 gab es deutschlandweit 300.143 Unfälle mit Personenschaden, 1.941 Unfälle davon waren landwirtschaftlichen Zugmaschinen zuzuordnen. Das entspricht einem Anteil von 0,65 % — dieser Wert liegt geringfügig höher als bei der letzten Studie aus dem Jahr 2010 (0,52 %), über die profi im Heft 2/2011 berichtet hat.
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Untersucht hat die UDV die Jahre 2017 bis 2020. Die Zahlen haben die Versicherungen LVM und Allianz beigetragen. Bei der sogenannten „Getöteten-Rate“ liegen die tödlichen Verkehrsunfälle pro Milliarde Fahrzeugkilometer zugrunde. Hier mussten die Forscher sich schätzungsweise einer theoretischen Kilometerleistung von landwirtschaftlichen Zugmaschinen im Straßenverkehr nähern, um einen Datenvergleich mit motorisierten Zweirädern, Pkw und Lkw (über 3,5 t) vornehmen zu können. Dazu Siegfried Brockmann: „Wir haben hier aufwändig gerechnet, aber der Näherungswert ist statistisch abgesichert.“
Pro Milliarde Fahrzeugkilometer gibt es beim Pkw 3,5 tödliche Unfälle. Bei landwirtschaftlichen Zugmaschinen sind es 195,3 Tote. In etwas über der Hälfte der Fälle (62 %) konnte die Hauptursache des Unfalls dem Traktor zugeordnet werden.
Das Alter der beteiligten Traktoren beziffert die Studie mit durchschnittlich 16,4 Jahren. Nicht überraschend ist, dass 62,5 % der Unfälle mit landwirtschaftlichen Zugmaschinen außerorts passieren. Parallel zur Saison ereignen sich die meisten Vorfälle zwischen April und Oktober.
Überraschenderweise passieren die meisten Unfälle (88 %) tagsüber und bei Trockenheit (91 %). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass trotzdem in 6,6 % der Fälle ein technischer Fahrzeugmangel unfallauslösend war — in der Regel defekte Blinker. Aber auch fehlende Konturmarkierungen oder mangelhafte Transportsicherungen (beispielsweise Abdeckungen für Zinken/Schare etc.) spielen im Unfallgeschehen eine Rolle.
Von den 978 Unfällen, die betrachtet wurden, fanden 92,5 % im öffentlichen Straßenverkehr statt, der Rest auf landwirtschaftlichen Betriebsstätten. Der Großteil der Unfallgegner saß im Auto (64,6 %) gefolgt von knapp 20 % Motorradfahrern und 8,4 % Radfahrern. Aufgefallen ist außerdem, dass die beteiligten Traktorfahrer eher jung sind — wobei die Studie jung nicht klar definiert und auch keine konkreten Zahlen nennt.
Betrachtet man die Kreuzungsunfälle mit Autos, fällt auf, dass knapp ein Drittel der Ereignisse auf „infrastrukturelle Sichteinschränkungen“ zurückzuführen sind. Das Studien-Deutsch meint damit Sichtbehinderungen etwa durch Straßengehölze, Büsche aber auch etwa Mais, Gebäude oder Kurven, die allesamt die Sicht behindern.
Bei den Abbiegeunfällen sind mit einem Anteil von 31 % nicht erkennbare oder defekte Blinker unfallverursachend gewesen. In nahezu allen Fällen (88 %) geschah der Unfall mit einem Anhänger oder Anbaugerät am Traktor.
Bei Unfällen mit Motorrädern ist die häufigste Ursache (32 %), dass ein überholendes Motorrad seitlich bzw. von hinten mit dem Traktor bzw. dem Gespann kollidiert. Die Studie sieht hier die Gründe vor allem darin, dass die Schlepperfahrer beim Abbiegen Fehler gemacht haben oder es starke Sichtfeldeinschränkungen nach hinten gegeben hat, wie etwa durch Anbaugeräte oder beispielsweise nicht ordentlich eingestellte Spiegel.
Bei den Abbiege- bzw. Kreuzungsunfällen gab es in 46 % der Fälle Sichtfeldeinschränkungen. Zusätzlich war an Kreuzungen fast immer (80 %) der Frontlader in zu tiefer Position am Unfall beteiligt und fügte den Kradfahrern Schaden zu.
Unfälle mit Fahrradfahrern
Drei Viertel der Einbiege- bzw. Kreuzungs-Unfälle mit Fahrradfahrern finden im Außenbereich statt. Von dieser Summe wiederum gut ein Drittel an den Schnittpunkten von Feldwegen zu Bundes- und Landstraßen. In nahezu der Hälfte aller Fälle haben Bäume, Gebüsche und Kurven die Sicht behindert. Beim Abbiegen fanden 86 % der Unfälle außerorts statt. Bei allen (absolut sind das sieben Unfälle) ist die Schuld dem Traktorfahrer zuzuordnen.
Was fällt auf?
Neben den erwartbaren Fakten, dass die meisten Unfälle mit landwirtschaftlichen Zugmaschinen außerorts und an Kreuzungen von Straßen und Wirtschaftswegen erfolgen, fällt auf, dass die häufigste Unfallursache aufseiten der Traktoren Fehler beim Abbiegen sind. Die häufigste Unfallursache bei den Unfallgegnern sind Fehler beim Überholen und eine nicht angepasste Geschwindigkeit.
Außerdem ist bei den Fahrradfahrern der Anteil der Pedelecs erhöht, vor allem im Vergleich zur Studie aus 2010. Das ist logisch, weil der Anteil hier offensichtlich stark zugenommen hat.
Maßnahmen
Die Unfallforscher schlagen in ihrer Studie eine Reihe von Maßnahmen vor, etwa Fahrerassistenzsysteme, wie man sie aus dem Pkw-Bereich kennt: Spurwechselassistenten oder Not-Bremssysteme. Inwiefern diese aufgrund der Fahrzeugabmessungen und der wechselnden Fahrzeugkonturen (Traktor solo, mit Anhänger, mit Anbaugerät) wirklich funktionieren, müssten Versuche in der Praxis zeigen. Die ebenfalls geforderten Frontkamerasysteme sind in der Praxis angekommen. Hier fehlt noch die flächendeckende Verbreitung.
Ebenso stellen die Unfallforscher die Fahrerlaubnisklassen L und T ab 16 Jahren zur Diskussion. Die Fahrer seien für diese Größen und Tonnagen der Gespanne zu jung und unerfahren. Und es wird an die Fahrschulen appelliert, die Ausbildung hinsichtlich der Unfallgeschehen zu optimieren.
Fazit
Die relativ pauschalen Forderungen der Unfallforscher gehen weit, aber aus der reinen Betrachtung der Zahlen sind diese Schlussfolgerungen logisch.
Allerdings sind sehr häufig auch Sichtbehinderungen unfallursächlich — hier spielt das Alter des Traktorfahrers also keine Rolle. Ebenso verhält es sich bei misslungenen Überholmanövern von Motorradfahrern, auch hier spielt das Alter des Traktorfahrers keine direkte Rolle.
Als sofortige Maßnahmen wäre die Minimierung von Sichtfeldeinschränkungen eine pragmatische Maßnahme. Darüber hinaus muss der Appell an die Praxis sein, Blinker und Beleuchtung immer top in Schuss zu halten, denn hier hakt es immer noch zu oft.
Kommentar von Christian Brüse
Alle sind gefordert!
Jeder Unfall mit Personenschaden ist einer zu viel. Es ist gut, dass die Versicherungen Studien in Auftrag geben und den Fokus auf schwere Unfälle lenken. Mit Blick auf die Studie ergeben sich aus der Sicht des Traktor-Fahrers aber Fragen: Warum verdecken häufig Schilder die Sicht nach rechts und links an Kreuzungen? Warum werden Straßengehölze an Einmündungen nicht weiter zurückgeschnitten? Warum gibt es zu selten Überholverbote (und deren Kontrolle!) an unfallgefährdeten Streckenabschnitten? Warum findet man nicht häufiger Verkehrsspiegel?
Die vom UDV geforderten — aus dem Pkw-Bereich bekannten — Assistenzsysteme sind ein Ansatz, den man diskutieren kann.
Der Appell zum rücksichtsvollen Fahren darf aus eigener Erfahrung aber nicht nur an die Fahrer von Traktoren und Erntemaschinen gehen. Vor allem müssen auch Pedelec- und Rennrad-Fahrer sensibilisiert werden. Mit ihrer oft besitzergreifenden Art radeln/rasen sie (in oft weit auseinandergezogenen Gruppen) auf Straßen und Wirtschaftswegen — die ja nicht umsonst Wirtschaftsweg und nicht Fahrradweg heißen. Diese Verkehrsteilnehmer bringen sich häufig selbst in gefährliche Situationen, die mit ein paar Sekunden Geduld oder auf der richtigen Spur vollkommen unnötig wären.
Das junge Fahrer vergleichsweise häufig an Unfällen beteiligt sind, ist klar; die Mehrzahl der Fahrer — insbesondere der Aushilfen bei Lohnunternehmer — ist jung. Aber wenn beispielsweise eine Hecke die Sicht versperrt hat, hätte ein 50-jähriger Fahrer auch nicht mehr gesehen.
Die Feststellung des UDV, dass es inakzeptabel ist, dass die Fahrerlaubnisklasse T mit 16 Jahren das Bewegen von 40 t-Zügen erlaubt, teile ich nicht. Dann stelle ich zur Diskussion, ob für elektrisch unterstütze Fahrräder nicht auch eine Fahrerlaubnis sinnvoll wäre.
Das aber im Sinne der Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer Vorsicht walten muss und wir verantwortungsvoll mit Privilegien (Steuerbefreiungen, Befreiung vom Fahrtenschreiber, Klasse T ab 16, etc.) umgehen müssen, das sehe ich genauso. In diesem Sinne: Gute und sichere Fahrt.